In Gotha sind wir mit Birgit Bellmann zum #TABinterview verabredet. Die 51-Jährige führt das gleichnamige Fachgeschäft für Orthopädieschuhtechnik inzwischen in vierter Generation. Der Betrieb wurde 1921 von ihrem Uropa gegründet. Über 100 Jahre später ist der Familienbetrieb mit zehn Mitarbeitenden und Werkstatt-Hündin Fine erstmals in weiblicher Hand. Ob das so bleibt und wie Birgit Bellmann die Nachfolge meisterte, erzählt sie uns im Interview.
zur Website der Orthopädieschuhtechnik BellmannIch war als kleines Kind, wahrscheinlich im Kindergarten-Alter, schon mit auf der Arbeit bei meinem Vater. Ich erinnere mich, dass wir immer viele Treppen gelaufen sind. Das frühere Geschäft war ein ganz altes Haus mit Vorder- und Hinterhaus, wie es zu DDR-Zeiten üblich war. Wir sind dann immer über die Holzstiegen über die vier Etagen. Das war gemütlich. Im Jahr 1994 sind wir in die neuen Geschäftsräume in der Blumenbachstraße umgezogen.
Wir hatten die Übergabe schon ganz lang geplant, aber ich wollte warten bis meine Kinder groß sind. Ich bin alleinerziehend und als meine jüngere Tochter 16 Jahre alt war, konnte es losgehen. Das war 2022.
Ja, das stand fest! Ich habe im Alter von 16 Jahren meine Lehre zur Schaftstepperin angefangen. Als die Wende kam, gab es diesen Beruf nicht mehr. Daher musste ich in die Klasse der Orthopädieschuhmacher wechseln. Das war damals noch eine reine Männer-Klasse, denn zu DDR-Zeiten wurde der sogenannte „Bodenbau“, also die Herstellung der Sohle, ausschließlich von Männern durchgeführt. Die Frauen haben damals den Schaft genäht. Ich musste also umschwenken, um auch diese Tätigkeit zu lernen. Nach dreieinhalb Jahren habe ich die Ausbildung abgeschlossen. 2004 habe ich nach neunmonatiger Meisterschule in Siebenlehn bei Dresden meinen Meister in gemacht.
Eigentlich gab es keinen großen Unterschied. Ich habe dieselbe Arbeit auch vorher schon gemacht. Außerdem kam der Wechsel während der Corona-Pandemie. Der Bürgermeister kam vorbei, aber eben im kleinen Rahmen. Später haben wir den Wechsel auch nochmal in einer Gaststätte gefeiert.
Die Kunden kommen ins Geschäft und fragen, wer hier der Chef sei, denn die erwarten einen Mann. In diesem Beruf ist das noch so. Die Leute sind dann ganz verwundert, wenn ich mich als Chefin vorstelle. Ich beweise denen das Gegenteil mit meiner Expertise und Erfahrung. Meistens mache ich mir auch gar nichts daraus. In der Berufsschule sind inzwischen auch schon gleich viele Mädchen wie Jungs. Um den Nachwuchs für das Handwerk zu begeistern, veranstalten wir auch regelmäßig die „offene Werkstatt“ und laden Kindergartengruppen und Grundschüler ein.
Über die Handwerkskammer Erfurt wurde ich nicht nur auf die Meistergründungsprämie aufmerksam sondern auch bei der Antragstellung unterstützt. Das ist noch gar nicht lange her und hat super geklappt.
Sich rechtzeitig kümmern! Das ist wichtig. Man kann sich bei anderen Unternehmen erkundigen. Oder die Beratung der Handwerkskammer in Anspruch nehmen. Ich hatte von der HWK Erfurt auch jemanden hier. Die Berater wissen, woran man alles denken muss.
Mein Opa hat immer gesagt, dass alles gut wird. Ich mache mir natürlich immer Gedanken, wie es weiter geht und ob die Wichtigkeit – insbesondere bei den Krankenkassen – für die Orthopädieschuhtechnik erkannt wird. Leider wollen meine Kinder das Geschäft nicht übernehmen. Meine älteste Tochter ist Lehrerin, aber meine Jüngste fängt im Oktober bei der Bundeswehr an. Da habe ich noch Hoffnung! (lacht)