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„Manche Türen kann man einrennen, andere bleiben verschlossen.“
Neues vom Langzeit-Wohnexperiment „3 Zimmer, Küche, Diele, Bad“
Zum vorerst letzten Mal haben wir uns mit Marco Reusch zum #TABinterview getroffen. Zwei Jahre lang wohnte er in unserer Modellwohnung in der Asbachstraße in Weimar im Rahmen des Forschungsprojekts „3 Zimmer, Küche, Diele, Bad“ (#3ZKDB). Gemeinsam mit der Bauhaus-Universität Weimar und der Weimarer Wohnstätte gehen wir im Projekt der Frage nach: Wie werden wir in Zukunft wohnen? Im Zuge dessen bauten wir die Altbauwohnung um und ließen Nathalie Millan Cerezo und Marco Reusch einziehen, um das „Wohnen der Zukunft“ praktisch zu erproben. Marco trafen wir nun zum Videocall zwischen Umzugskartons und mitten in den Vorbereitungen für ein Auslandssemester in Finnland. Ein Gespräch über Abschied und Aufbruch – und über das Wohnen als Experiment.
Marco, wie geht es dir?
Mir geht es ganz gut. Ich bin im Pack-Fieber für das Auslandssemester. Ich bin gespannt, wie das wird und wie es weitergeht. Auch, was mit der Wohnung passiert, wenn ich nicht mehr hier bin.“
Wir haben uns das letzte Mal im Herbst letztes Jahr gesehen. Was ist seither passiert in der Wohnung?
„Im September waren wir noch ganz guter Dinge, dass sich nach der ersten Corona-Welle alles ein bisschen beruhigt hat. Wir haben wieder angefangen zu planen. Dann kam die zweite Welle, die wieder einiges über den Winter und das Frühjahr gedämpft hat. Ich habe weiter von zu Hause aus studiert und es haben sich auch mit den Nachbarn ein paar Dinge ergeben. Kleinere Treffen, die auch wirklich schön waren. Aber das Große, was wir eigentlich vorhatten, das konnten wir nicht umsetzen. Irgendwann war dann auch klar, dass ich Weimar verlasse und dann kam das Projektende schneller als erwartet. Jetzt blicke ich mit einem weinenden und lachenden Auge zurück und nach vorne.“
Wenn du auf die vergangenen zwei Jahre blickst – was bedeutet für dich Nachbarschaft?
„Offene Türen und Begegnung auf jeden Fall, das finde ich super wichtig. Wir haben immer wieder gemerkt, dass der Treppenraum das wichtigste Medium ist. Das haben wir völlig unterschätzt. Aber hier gehen schließlich alle rein und raus, holen ihre Post, man begegnet sich. Irgendwann grüßt man sich in der Stadt. Das alles ist Nachbarschaft. Und wenn es von dort aus noch weitergeht, wenn man sich verabredet, dann ist das wohl eine nächste Stufe. Aber der Kern sind die zwischenmenschlichen Beziehungen.“
Kann man nachbarschaftliche Gemeinschaft von außen erzeugen? Kann eine Akteurin wie die Wohnstätte Anreize schaffen – oder muss das erstmal von innen heraus kommen?
„Das ist die Frage, die uns von Anfang an beschäftigt hat. Wir sind nicht die Entertainer und das kann auch die Wohnstätte nicht sein. Wir haben auch immer wieder gemerkt, dass es Personen gibt, die einfach kein Interesse an Interaktion oder Begegnung haben. Dann ist es schwer, da anzuknüpfen. Aber man kann räumliches Gefüge oder Begegnungsräume schaffen, so wie es hier auch gedacht war. Das sind Grundparameter, die das einfacher machen. Oder wenn andere das vorleben und manche dann merken: „Aha, das ist doch ganz interessant!“. Aber wenn das nachbarschaftliche Gefüge schon steht, dann braucht es meiner Meinung nach erstmal gewisse Personen, die dort hinkommen und etwas starten. Ein Raum allein genügt nicht. Es braucht dieses Zusammenspiel aus engagierten Personen und dem Raumangebot.
Gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren in Weimar mehrere Projekte entstanden, bei denen es um gemeinschaftliches Wohnen geht. Es scheint dafür – und das ist auch ein Forschungsergebnis aus #3ZKDB – ein wachsendes Bewusstsein und ein größer werdendes Bedürfnis zu geben. Ist das dann also ein Thema der Selbstorganisation?
„Das sind tatsächlich sehr schöne Projekte hier in Weimar. Diese weisen aber meist von Beginn an klare Unterschiede zu 3ZKDB auf. Wir sind eben nicht die Gruppe, die sich gemeinsam dieses Haus ausgesucht hat. Ich würde aber trotzdem nicht sagen, dass es schwierig ist, das hier zu etablieren. Es gibt nur größere und kleinere Hürden. Und es gibt eben ganz verschiedene Menschen und eine große Diversität in diesen bestehenden Wohnungsbauten oder Nachbarschaften. Bei den Gemeinschaftsprojekten wird ja in gewisser Weise vorselektiert: Wer von Anfang an keine Lust auf Gemeinschaft und die Auseinandersetzung hat, der landet wahrscheinlich auch gar nicht erst in der Ro70 oder in der alten Feuerwache (zwei der angesprochenen Wohnprojekte in Weimar, Anmerkung der Redaktion). Das ist vielleicht der Unterschied, der erst mal den Eindruck erweckt, dass es viel schwieriger sei, das in einer bestehenden Nachbarschaft zu machen. Es ist vielleicht eine andere Herausforderung - aber auch hier gibt es offene Türen, die man gar nicht einrennen muss. Und andere kann man versuchen einzurennen, aber die bleiben verschlossen. Das ist auch einfach in Ordnung so. Diese Mischung macht das Ganze sehr lebendig, finde ich.“
Was nimmst du für dich persönlich aus den vergangenen zwei Jahren mit?
„Ganz viel. Die Komplexität von Projekten ist im Voraus nie durchschaubar. Vor allem wenn verschiedene Institutionen und Personen involviert sind. Ich bin Fan von ganzheitlichen Ansätzen, d.h. möglichst interdisziplinär, in frühen Planungsphasen, viele Leute mit an den Tisch zu holen. Das ist natürlich ein hoher Anspruch, der aber auch meist gute Ergebnisse zutage bringt. In diesem Projekt habe ich wieder gemerkt, wie wichtig Kommunikation ist. Das ist das A und O. Wenn das nicht funktioniert, was immer mal wieder vorkam, dann führt das zu Schwierigkeiten. Diese lassen sich manchmal auflösen, manchmal nicht, aber die kosten auf jeden Fall viel Kraft. In Sachen Kommunikation gibt es immer Lernpotenzial, da kann man sich immer verbessern. Ich habe in jedem Fall sehr viel gelernt.
Was die Nachbarschaft angeht – auch da hat mich das Projekt motiviert, das mal anders zu betrachten und das zurückzukoppeln mit meinem fachlichen Hintergrund der Architektur.“
Wie sehr wird dir das Projekt fehlen? Oder bist du erleichtert, nicht mehr jede Woche Tagebuch führen zu müssen für die wissenschaftliche Begleitforschung oder für ständige Interviews deine Wohnung zu öffnen?
„Jeder darf gerne jederzeit kommen, das ist und war überhaupt kein Problem, auch die Interviews nicht. Was tatsächlich etwas lästig war, waren die Tagebücher. Es ist natürlich ein Mittel zur Dokumentation und es ist auch schön, das dann wieder zu lesen. Aber es ist aufwendig und die Lust, das zu schreiben, war nicht immer so groß. Von daher bin ich froh, dass das jetzt nach zwei Jahren zu Ende ist.“
Was würdest du dir wünschen, was mit der Wohnung weiter passiert?
„Ich würde mir wünschen, dass wir Impulse gesetzt haben, die weitergeführt werden. Vielleicht gibt es auch Momente für ein Wiedersehen auch nach dem Auszug und Auslandssemester. Da bin ich gespannt. Für die Wohnung würde es mich sehr freuen, wenn neue Personen kommen, die erkennen, was diese Wohnung kann und welche Optionen es hier gibt. Es gab ja bereits Besichtigungen einer möglichen WG von Studierenden der Architektur und Urbanistik, die von dem Projekt gehört hatten und das gern weitermachen möchten. Ich fände es einfach schön, wenn etwas davon in irgendeiner Form immer wieder weiter gegeben werden kann, als Erbstück sozusagen.“
Und wie geht es jetzt für dich weiter?
„Ich habe mich am Anfang des Jahres trotz Lockdown und Pandemie-Geschehen entschieden, noch ein Auslandssemester in mein Masterstudium zu integrieren. Ich habe einen Platz in Helsinki an der Universität bekommen. Ich bin gespannt, was das noch mal für Erfahrungen sind nach der langen Zeit in Weimar. Aber danach geht es auch erstmal wieder hierher zurück, um den Master hier abzuschließen.“