„Für mich hat sich alles wie ein Puzzle zusammengesetzt“

#TABinterview mit Flora Mirzoyan und Roman Golovkov

Flora Mirzoyan und Roman Golovkov gründeten das Start-up migohead.

Wir hören genau hin, wenn es um Weltneuheiten aus Thüringen geht. Zum #TABinterview sind wir mit Flora Mirzoyan und Roman Golovkov in ihrem Erfurter Büro verabredet. Das Ehepaar gründete das Start-up migohead und entwickelte die weltweit ersten Otoplastiken aus Keramik. Otoplastiken sind Formpassstücke für den Gehörgang und Verbindungselemente zwischen Ohr und Hörsystem. Um diese Innovation zu ermöglichen wurden sie zur Existenzsicherung in der Vorgründungsphase von der Thüringer Gründungsprämie unterstützt. Im #TABinterview sprechen wir mit den beiden über den Antragsprozess, das erste Jahr der Gründung und weitere Pläne des jungen Medizintechnikunternehmens.

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Woher kommt Ihre Leidenschaft für das Thema?

Roman Golovkov: Die Idee hat sich bereits vor rund sechs Jahren herauskristallisiert. Ich habe als Zahntechnikmeister schon immer gerne mit verschiedenen Werkstoffen experimentiert. Mich hat aber auch die Hörakustik immer fasziniert, weil diese Branche sehr schnell wächst, obwohl für Otoplastiken gar nicht so viele Werkstoffe angeboten werden. Ich habe angefangen, mit verschiedenen Werkstoffen zu probieren und die ersten Tests mit Keramik waren schnell erfolgreich.

Welche Vorteile hat Keramik als Werkstoff für Otoplastiken?

Roman Golovkov: In der Entwicklungsphase sind aus verschiedenen keramischen Werkstoffentoffen unsere migoCERAM-Produkte entstanden. Wir verwenden dafür Silikat- und Oxidkeramik in Kombination. Daraus ergeben sich überragende Vorteile in Ästhetik, Stabilität und Tragekomfort.

Flora Mirzoyan: Keramik ist sozusagen ein Nonplusultra-Material, das als anorganischer Werkstoff von jedem Körper angenommen wird. Keramik hat aber auch einen akustischen Vorteil, den Kunststoffe zum Beispiel nicht aufweisen. Da die physikalischen Eigenschaften von Keramik denen des menschlichen Knochens ähneln, wird der Schall im Tieftonbereich weitergeleitet. Der Werkstoff ermöglicht eine gewisse Schallleitung bzw. „akustische Transparenz“, die wir für migoCERAM nutzen. Je nach Wandstärke und Hörverlust können audiologische Verschlusseffekte reduziert oder Rückkopplungen vermieden werden. Die Verschlusseffekte treten, zum Beispiel häufig bei Menschen auf, die noch nicht schlecht hören, aber trotzdem schon auf Hörgeräte angewiesen sind und mit Kunststoff-Otoplastiken versorgt sind.

Roman Golovkov: Auf der anderen Seite können wir mit Keramik-Otoplastik den akustischen Effekt, also die Rückkopplungen, vermeiden. Die Kunststoffe, aus denen die marktüblichen Ohrpassstücke gefertigt werden, sind durch die Verkettung ihrer Moleküle nie ganz dicht. Das heißt, man kann das Ohr durch Kunststoff nicht vollständig abdichten. Das ist wiederum für Menschen ein Problem, die bereits unter starkem Hörverlust leiden. Die fehlende Dichte führt zu einer Rückkopplung, wie bei einem Mikrofon, was dann zu einem Piepsen im Ohr führt. Auch hier ist Keramik vorteilhaft, da wir die Otoplastik ganz abdichten können. Aufgrund der ultra-dünnen Wandgestaltung ist migoCERAM außerdem besonders für Personen mit engen Gehörgängen geeignet ist.

Keramik klingt nach einem echten Allrounder.

Flora Mirzoyan: Genau, es ist form- und farbbeständig. Es verfärbt sich nicht, wie etwa Silikone, denn Schweiß oder Fett stören den keramischen Werkstoff nicht. Man nimmt einfach ein Tuch und wischt Verschmutzungen ab. Das macht die Otoplastik auch sehr langlebig, denn man kann sie so lange verwenden bis sich der Gehörgang verändert. Otoplastiken aus Keramik sind also eine sehr langlebige Lösung.

Wie entwickelte sich daraus die Idee zur Gründung?

Roman Golovkov: Ich kam mit meiner Frau ins Gespräch, ob wir die Idee in die Hand nehmen und gründen sollen. Das haben wir natürlich sorgsam ausgelotet, uns beraten lassen und geschaut, welche Fördermöglichkeiten es in Thüringen gibt.

Flora Mirzoyan: Wir waren beide von der Idee begeistert. Ich habe zu dieser Zeit in der Kommunikation für eine Stiftung im Bildungswesen gearbeitet und dachte mir, wenn ich ein anderes Produkt vermarkten kann, dann kann ich das auch für mein eigenes Unternehmen tun.

Was war Ihre erste Anlaufstelle für eine Beratung?

Roman Golovkov: Als Handwerksbetrieb haben wir uns in erster Linie direkt an die Handwerkskammer Erfurt gewandt und uns dort sehr umfassend beraten lassen - von Gründungsstrategien, Businessplanerstellung bis zu Fördermöglichkeiten Die Handwerkskammer hat uns als Gründer mit einer innovativen Idee schnell auf das ThEx Thüringen aufmerksam gemacht. Da haben wir uns dann für die Gründungsprämie beworben.

Wie ging es dann weiter?

Roman Golovkov: Wir haben ein Bewerbungsschreiben für die Gründungsprämie verfasst. Anschließend hat sich unser späterer Gründungsprämiencoach Swen Köcher von ThEx Enterprise bei uns vorgestellt und uns durch das gesamte Verfahren begleitet.

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Wie läuft der Antragsprozess für die Gründungsprämie ab?

Flora Mirzoyan: Wir mussten zunächst ein Exposé einreichen. Das hielt sich vom Aufwand her im Rahmen, denn zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits einen Businessplan geschrieben. Im Exposé sollten wir natürlich noch auf andere Fragen eingehen, aber wir hatten eine gute Grundlage.

Roman Golovkov: Im Anschluss wird man eigentlich zu einer Jurysitzung eingeladen. Wir haben auch bis zum Schluss geübt, aber letztlich ist die Präsentation coronabedingt ausgefallen. Trotzdem fiel das Juryvotum für uns aus und wir konnten in die Vorgründungsphase starten.

Was waren Ihre ersten Schritte nach Bewilligung der Gründungsprämie?

Flora Mirzoyan: Bei mir war es ein nahtloser Übergang. Ich habe noch bis Ende März in meinem damaligen Arbeitsverhältnis gearbeitet und ab dem 1. April 2021 den Schritt in die Vorgründungsphase gewagt. Ich brauchte dann gedanklich auch einen Switch von der Arbeitnehmerin zur Unternehmerin. Über unseren Coach kannte ich bereits die vielen kostenfreien ThEx-Angebote und Online-Seminare. Ich habe mir also einen Monat bewusst Zeit genommen, um an diesen Weiterbildungen teilzunehmen.

Welche Angebote aus dem ThEx haben Sie genutzt?

Flora Mirzoyan: Ich habe Seminare zu diversen Themen besucht: Versicherung, Finanzen, Steuern, Preisgestaltung und so weiter. Dadurch hatte ich auch die Möglichkeit zu sehen, wie es andere Gründerinnen und Gründer machen.

Wie konnte die Gründungsprämie dabei helfen?

Flora Mirzoyan: Durch die Gründungsprämie konnte ich mir diesen Einstieg in die Vorgründungszeit nehmen. Jedes Thema aus den ThEx-Seminaren konnten wir letztlich zur richtigen Zeit gebrauchen. Ich hatte dadurch außerdem die Möglichkeit, bereits einige Monate vor der Gründung mit der Kundenakquise zu beginnen und mit den Hörakustikerinnen und Hörakustikern in Thüringen ins Gespräch zu kommen.

Roman Golovkov: Unser Betriebsberater von der HWK hat uns außerdem einen Kontakt an PATON - das Landespatentzentrum Thüringen vermittelt, wo wir uns zum Thema Patent beraten lassen haben. Das Patent ist inzwischen angemeldet. Wir haben die vorgegebenen Meilensteine, wie die Erstellung von Prototypen, inklusive Testphase, geschafft und am 1. September war es dann soweit.

Am 1. September 2021 haben Sie gegründet. Was war das für ein Gefühl?

Flora Mirzoyan: Das war ein Glücksgefühl, denn genau am Gründungstag haben wir unseren ersten Auftrag erhalten. Ich bin froh, dass wir im Vorfeld die Gründungsprämie erhalten haben. So hatte ich bereits vor dem Markteintritt Interessenten für unsere Otoplastiken gefunden und in den ersten Gründungswochen haben wir bereits einen kleinen Kundenstamm aufgebaut.

Trotz aller Vorfreude ist der Schritt in die Gründungsprämie zur Existenzsicherung in der Vorgründungsphase mutig. Wie sind Sie damit umgegangen?

Roman Golovkov: Man muss schon Courage haben und wir hatten auch die ein oder andere schlaflose Nacht.

Wenn Sie zurückblicken, was würden Sie anderen Gründer*innen raten?

Flora Mirzoyan: Einfach den Mut zu haben, diesen Schritt zu gehen! Wenn man mit Herz und Verstand für eine Sache brennt, dann wird es auch– natürlich mit der gewissen Anstrengung und dem Durchhaltervermögen – klappen. Für mich hat sich alles wie ein Puzzle zusammengesetzt, denn es war der richtige Moment, um diesen Schritt zu gehen. Auch weil wir die tollen Wegbegleiter aber an unserer Seite hatten, die uns als Berater aus der HWK Erfurt und Coaches aus dem ThEx tatkräftig unterstützt haben.

Wie ist Ihr Status quo? Woran arbeiten Sie im Moment?

Roman Golovkov: Wir arbeiten immer an neuen Produktentwicklungen. Im ersten Geschäftsjahr haben wir die Keramik-Otoplastiken migoCERAM Comfort und Premium mit den neuen Bauformen erweitert. Wir wollen aber auch weitere Produkte launchen. Dazu sind verschiedene Kooperationen geplant.

Flora Mirzoyan: Der nächste Meilenstein für uns wird die Teilnahme am internationalen EUHA-Kongress in Hannover im Oktober 2022 sein. Das ist eine weltweit bekannte Fachmesse für Hörakustikerinnen und Hörakustiker. Es ist eine Ehre unsere Produkte hier auszustellen. Das ist mit viel organisatorischem und finanziellem Aufwand verbunden, aber wir haben uns auf die Fahne geschrieben, dass wir als innovatives Otoplastiklabor mit unserer Marktneuheit hier nicht fehlen dürfen.

Wie lautet Ihr Fazit nach dem ersten Gründungsjahr?

Roman Golovkov: Wir sind mit unserer stabilen Auftragslage sehr zufrieden. Wir haben eine hohe Kundenzufriedenheit sowie einen festen Kundenstamm, über den wir im ersten Jahr sehr stolz sein können. Demnächst möchten wir Personal einstellen, um uns auch wieder etwas mehr Freiräume zu verschaffen und Neues entwickeln zu können.

Flora Mirzoyan: Keramik ist nicht die einzige Innovation, die von migohead kommen soll. Es gibt andere innovative Werkstoffe, mit denen wir testen und die wir auf den Markt bringen wollen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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