Gesetzliche Grundlagen und wichtige Institutionen zur Barrierefreiheit von Onlineangeboten

Enrico Göbel ist beim Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung für das Thema

Für unser Projekt zur digitalen Barrierefreiheit haben wir frühzeitig Kontakt zum Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung (TLMB) aufgenommen. Enrico Göbel, Diplom-Informatiker, ist beim TLMB für das Thema "digitale Barrierefreiheit" zuständig. Egal ob bei der Suche nach Tester*innen oder Informationen zu Schulungsangeboten: Wir konnten uns stets vertrauensvoll an Enrico Göbel wenden. In seinem Gastbeitrag gibt er einen Überblick über die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit und welche Institutionen auf Länderebene unterstützen. Er zeigt außerdem seine Definition von digitaler Barrierefreiheit und erklärt, wie man in Projekte dazu startet.

zur Website des Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung

Mehr als Rampen und Leitsysteme

Viele Menschen denken bei dem Thema "Barrierefreiheit" zuerst an Rampen für Rollstuhlfahrer oder sogenannte Bodenindikatoren für blinde Menschen. Das sind alles wichtige bauliche Maßnahmen. Auch die digitale Barrierefreiheit hat eine große Bandbreite und Zielgruppe, was zu Pandemie-Zeiten besonders zu beobachten war: Wege in Ämter waren teilweise nicht möglich, Termine gingen nur online, Anträge müssen digital ausgefüllt werden. Das führte mitunter zu Hindernissen. Digitale Barrierefreiheit heißt nichts anderes, als dass jeder Mensch in der Lage sein sollte, ein digitales Produkt zu nutzen - ohne fremde Hilfe, zu jeder Zeit, ohne allzu hohen zeitlichen Mehraufwand und mit dem gleichen Ergebnis.

Barrierefreiheit ist von Bund und Ländern zu beachten

Die EU-Richtlinie 2016-2102 bildet die gesetzliche Grundlage für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen in ihrem nationalen Recht umzusetzen. Deutschland ist ein föderaler Staat. Die Umsetzung dieser Richtlinie ist Bundes- und Ländersache, was dazu führt, dass sowohl zwischen Bund und Ländern als auch zwischen den Ländern zum Teil unterschiedliche Gesetze existieren. In Thüringen heißen sie: Thüringer Gesetz über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (ThürBarrWebG) und die Standards zur Umsetzung finden sich in der Thüringer Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (ThürBITVO). Darüber hinaus beschäftigt sich das Thüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG) ebenfalls mit Themen der (digitalen) Barrierefreiheit. In diesem rechtlichen Kontext bewegen wir uns. Diese Regelungen bilden im Freistaat die Grundlage, um digitale Barrierefreiheit herzustellen, aber auch um regelmäßig zu überprüfen, was dafür noch fehlt.

In Bund-Länder-Runden sowie Gesprächen mit Betroffenenverbänden sind wir uns einig, dass die Gesetzte weiterentwickelt werden müssen. In erster Linie geht es aber darum – auf Basis dieser gesetzlichen Grundlage – zu starten und digitale Barrierefreiheit in den Köpfen zu verankern.

Privatunternehmen und andere Institutionen (außer öffentliche Stellen) werden übrigens mit dem European Accessibility Act in die Pflicht genommen. Das hat die Bundesregierung unter Angela Merkel noch in das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) integriert. Das bedeutet, dass auch Unternehmen, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn, ein barrierefreies digitales Angebot gestalten müssen. Und auch die Regierung unter Olaf Scholz hat sich verpflichtet, hier zu schärfen.

Ein Qualitätsmerkmal, nicht nur „solidarische Haltung“

Es gibt keinen Königsweg, um in die digitale Barrierefreiheit zu starten. Entscheidend ist es, den ersten Schritt zu machen, sich bewusst zu werden, dass Barrierefreiheit ein wichtiges Qualitätsmerkmal und nicht mehr nur eine solidarische Haltung ist. Wichtig ist - und das hat auch die Thüringer Aufbaubank gut vorgelegt: sich Wissen aneignen, für das Thema sensibilisieren und zu überlegen, wie alle Kollegen mitgenommen werden - ohne sie zu überfordern. Die Arbeitsweise kann doch Schritt für Schritt umgestellt werden. Häufig zeigt sich die digitale Barrierefreiheit nämlich schon wirksam, wenn man an kleinen Stellschrauben dreht und beispielsweise Überschriften definiert: Häufig wird die H2-Überschrift genutzt, weil sie besser aussieht als eine H1-Überschrift. Für die Barrierefreiheit bedeutet das aber, dass die ganze Struktur durcheinandergebracht wird. Solche Dinge muss man sich zunächst bewusst machen. Es gilt die ersten Schritte zu machen und anschließend weitere folgen zu lassen.

Informationsquellen der Länder nutzen

Wenn wir über digitale Barrierefreiheit sprechen, gibt es drei wichtige Institutionen, die in Teilen in allen Bundesländern existieren: Überwachungsstelle, Landesdurchsetzungsstelle und bei uns in Thüringen gibt es auch noch eine Landesfachstelle für Barrierefreiheit.

Die Zentrale Überwachungsstelle digitale Barrierefreiheit ist im Thüringer Finanzministerium angesiedelt. Ihre Hauptaufgabe ist es, kontinuierlich und stichprobenhaft die Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen zu erfassen und zu prüfen. Daraus entsteht ein Prüfbericht für Thüringen, der wiederum in den Bericht für Deutschland einfließt. Denn die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit und Informationstechnik hat eine Berichtspflicht gegenüber der EU, die prüft, ob die EU-Richtlinie 2016-2102 umgesetzt wird. Dafür muss jede öffentliche Stelle mitwirken und ihre Webseiten der Überwachungsstelle melden.

Zur Aufgabe der Landesdurchsetzungsstelle für digitale Barrierefreiheit gehört es, im Konfliktfall zwischen Menschen mit Behinderung und öffentlicher Stelle eine außergerichtliche Streitbeilegung zu unterstützen. Jeder Bürger hat das Recht, eine öffentliche Stelle auf eine Barriere der Online-Anwendung hinzuweisen und um Behebung zu bitten. Dafür muss die öffentliche Stelle ein Feedbackformular vorbehalten. Wenn die öffentliche Stelle nicht adäquat oder gar nicht auf die Hinweise reagiert, kann sich der Bürger an die Landesdurchsetzungsstelle, die beim TLMB angesiedelt ist, wenden. Wir versuchen dann gemeinsam eine Lösung zu finden. Im Idealfall klappt das auch und die Barriere wird behoben. Bisher kam es zumindest noch nicht zu einem solchen Konfliktfall. Kommt es dazu Landesdurchsetzungsstelle werden wir aktiv und können auch die Überwachungsstelle des Landes einbeziehen, um den Fall prüfen zu lassen.

Eine weitere wichtige Institution, bei der ich stolz bin, dass wir sie in Thüringen haben, ist die Landesfachstelle für Barrierefreiheit. Sie ist auch dem TLMB angegliedert und kümmert sich u.a. um Beratungen und Schulungen zur digitalen Barrierefreiheit. Die Landesfachstelle betreut aber auch andere Aspekte, wie bauliche Barrierefreiheit oder den Bereich Verkehr und Mobilität. So schaffen wir zum Beispiel Fortbildungsangebote für die kommunalen Behindertenbeauftragten. In jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt arbeiten kommunale Behindertenbeauftragte, die vor Ort aktiv sind und mit denen wir im steten Austausch sind. Es geht darum, das Thema möglichst in die breite Masse zu bringen. Um Barrierefreiheitsprojekte finanziell zu unterstützen, hat der TLMB Ende 2021 eine Förderrichtlinie erlassen, das Thüringer Barrierefreiheitsförderprogramm (ThüBaFF). Das Förderprogramm ist breit aufgestellt und richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen, um nicht nur mit Wissen, sondern auch mit finanziellen Mitteln in verschiedenen Bereichen zu unterstützen. Auch Schulungs- und Beratungsleistungen oder konzeptionelle Arbeiten können gefördert werden.

Ausblick: Inklusion leben

In jedem Jahr veröffentlichen wir einen Inklusionsmonitor, der ein gutes Bild gibt, wohin sich die Barrierefreiheit aus Sicht der Bevölkerung entwickelt. Im jüngsten Monitor war die Frage enthalten, ob die Befragten überhaupt etwas mit dem Begriff "Inklusion" anfangen können. Es zeigte sich, dass nur 50 Prozent der Befragten sich etwas unter diesem Wort vorstellen können. Um eine hoffnungsvolle Prognose zu wagen, wohin sich die Barrierefreiheit im positivsten Sinne entwickelt, möchte ich diese Frage gerne wie folgt umkehren: Mein Wunsch wäre es, dass die Leute in zehn Jahren auch nicht wissen, was Inklusion ist. Weil Inklusion einfach gelebt wird und es gar kein Wort mehr dafür braucht. Bestenfalls passiert das genauso auch in der digitalen Welt.

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